Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Darstellung der aktuellen ökonomischen Lage

Rolf Fürst, KAZ-AG »Zwischenimperialistische Widersprüche«

Mai 2011

Ich möchte mich zunächst bedanken, dass ich heute hier das erste Referat der diesjährigen Konferenz halten darf. Mein Thema wird die Darstellung einiger wesentlicher Aspekte der aktuellen ökonomischen Lage sein, was ein fester Bestandteil aller Hauptfeindkonferenzen ist.

Innerhalb dieses festen Bausteins unserer Konferenzen haben wir uns in den letzten beiden Jahren insbesondere mit der direkten Wirtschaftskrise beschäftigt, in der wir uns damals unmittelbar befunden haben. Mittlerweile prasseln wieder jede Menge Meldungen auf uns ein, die uns suggerieren, dass die Konjunktur sich doch deutlich gebessert hat, und dann wie immer dazu, dass dies auch für unser Wohl hilfreich und nützlich wäre.

Diese Behauptungen zu beleuchten und zu überprüfen, werde ich nun also versuchen. Dies habe ich aufgegliedert in die Situation im Inland und die Auswirkungen auf das Ausland, insbesondere im Hinblick auf die erneut akute Eurokrise.

Diejenigen, die das auf diesem Wege der Konjunktur lösen können, brauchen sich den Rest nicht mehr so genau anzuhören. Für alle anderen steige ich jetzt ein.

Zu jeder Betrachtung der Gesamtsituation muss man immer wieder erwähnen, dass die zur Verfügung stehenden Zahlen und Daten immer ein gewisses Problem bergen, weil wir keine eigenen Institute oder Forschungseinrichtungen haben, die die Fakten nach streng marxistischen Kategorien und Maßstäben aufbereiten. Folglich sind wir auf die entsprechenden Zahlen auf Basis bürgerlicher Methoden und Erhebungen angewiesen. Dies stellt eine gewisse Einschränkung dar.

So ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) eine wesentliche Kennzahl in der Betrachtung, bleibt aber mit gewissen Makeln behaftet, im Hinblick auf die Erfassung, im Hinblick darauf, was alles so hineinfließt und mitgezählt wird. Letztlich können wir die wirtschaftliche Gesamtleistung aber dadurch trotzdem ungefähr ablesen.

Die Darstellung beginnt mit dem Wert 2007, also vor dem akuten Ausbruch der Krise. Bis Mitte 2008 stieg die Wirtschaftsleistung deutlich an. Darauf folgte der größte Absturz nach Ende des 2.Weltkriegs.

Ihr entsinnt euch sicherlich noch des Beginns der Wirtschaftskrise im Herbst 2008 bis in das Jahr 2009. Im 1. Quartal 2009 war das Bruttoinlandsprodukt 6,7% niedriger als ein Jahr zuvor – ein einmaliger Wert. Seitdem folgte über das Jahr 2010 eine Stagnation.

2011 sehen wir in der Tat wieder einen Anstieg, was die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und Leistung betrifft. So befindet sich die Konjunktur mittlerweile fast wieder auf dem Niveau von vor der Krise. Das, wie gesagt, bezogen auf die inländische wirtschaftliche Gesamtentwicklung. Woraus resultiert das? Im Wesentlichen aus der Produktion.

Es ergibt sich eine ganz ähnliche Kurve, wenn auch mit größerem Ausschlag nach unten: Im genannten 1. Quartal 2009 lag die Produktionsleistung um 19,5% niedriger als ein Jahr zuvor. Wir können also rückschließen, dass dieser erneute Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Leistung ganz maßgeblich auf dem entsprechenden Anstieg der Produktion beruht. Oder anders: Die anderen Bereiche wie Handel, Gesundheitswesen und was sonst alles noch in den Wert hineinfließt, laufen natürlich wesentlich kontinuierlicher, unterliegen also geringeren Schwankungen.

Die Produktion ist der Sektor, der diesen starken Schwankungen unterliegt und der maßgeblich ist für die Entwicklung der wirtschaftlichen Gesamtleistung. Dies zeigt im Übrigen auch deutlich, dass Deutschland nach wie vor ein industrielles Produktionsland ist. Jetzt sehen wir wieder einen entsprechenden Anstieg bis fast auf den Wert vor der Krise 2008.

In Verbindung mit dieser stark schwankenden Produktionsmenge ist immer auch die Tatsache zu sehen, dass der deutsche Imperialismus einen im Verhältnis zu kleinen Binnenmarkt hat. Nur ein Teil dieser Produktion kann im Inland abgesetzt werden. Folglich ist das deutsche Kapital auf Gedeih und Verderb auf einen entsprechend hohen Export angewiesen.

Die Bedeutung des Exports können wir hier deutlich feststellen. Bis 2008 ergibt sich ein relativ konstanter Anstieg. 2009 sieht man dann den beschriebenen Produktionsrückgang, der direkt ein Exportrückgang war. In Deutschland spiegelt sich also die Produktionsentwicklung immer in dem Auf und Ab der Exportquote. Im laufenden Jahr bedeutet das wieder einen Anstieg der Exportquote. Man wird voraussichtlich im Jahr 2011 wieder annähernd auf 40% Exportanteil kommen.

Das heißt: 40% der gesamten Wirtschaftsleistung (des Bruttoinlandsprodukts) in Deutschland geht in den Export. Ohne diese hohe Exportquote ist also die ganze wirtschaftliche Macht und das Funktionieren des kapitalistischen Systems in Deutschland völlig undenkbar.

Im Großen und Ganzen geht es praktisch wieder genau in die gleiche Richtung wie vor der Krise. So wie aus dem Ausland immer wieder kritisiert wird, dass diese hohe Exportquote dazu führt, dass andere Länder sich, entsprechend als Gegenstück dazu, nachteilig entwickeln.

Hier ist die Exportquote Deutschlands seit 1999 dargestellt, also seit Euroeinführung. Bei Euroeinführung lag die Exportquote noch bei 25%. Das heißt – von 2009 abgesehen – ist es dem deutschen Imperialismus mit dem Euro immer gelungen, die Quote kontinuierlich zu steigern. Insofern ist auch der Rückschluss naheliegend, dass die deutsche Wirtschaft, das deutsche Kapital der größte Nutznießer des Euro ist.

In dieser Folie sind die jeweils links angefügten schwarzen Balken der Gesamtexport der deutschen Wirtschaft und daneben der Anteil davon, der in EU-Länder exportiert wird. Dieser Anteil liegt relativ kontinuierlich bei etwa zwei Dritteln der Gesamtexporte. Auch hier haben wir genau diesen Einbruch 2009 und nun wieder den Anstieg.

Alles, was schon an direkten Ursachen für die Krise existierte, wird jetzt wieder ganz genau so fortgeführt. Von dem hohen Gesamtexportanteil von 40% der Wirtschaftsleistung gehen wieder zwei Drittel in die EU-Länder. Es wirkt vielleicht erstmal nur so wie eine kleine Delle, und es könnte so aussehen, als wenn der Geschäftsbetrieb sozusagen völlig unverändert weiterläuft, als wäre nichts geschehen …

Die Gegenüberstellung zeigt jedoch, dass dem nicht so ist. Die Unterschiede in der ökonomischen Entwicklung der einzelnen EU-Staaten haben sich vertieft, die Ungleichheit der Entwicklung tritt stärker hervor. Hier ist als Vergleichsgröße die prozentuale Wirtschaftsentwicklung zwischen dem ersten Quartal 2011 gegenüber dem ersten Quartal 2010 gezeigt. Deutschland hat dabei einen Anstieg von 4,8% zu verzeichnen, also genau den Trend, den wir schon in den vorherigen Kurven festgestellt haben. Wieder einmal erster Platz in der EU. Danach folgen Frankreich, Großbritannien, Italien mit geringeren, aber dennoch Zuwächsen.

Auf der Gegenseite dann die schwächeren Länder, insbesondere Griechenland, die mit Portugal und Irland gemeinsam Rückgänge innerhalb dieses Jahres hinnehmen müssen. Dass die Wirtschaftsleistung Griechenlands mit minus 4,8% genau die gespiegelte Ziffer Deutschlands hat, ist von der Ziffer her Zufall. Aber es unterstreicht, dass der wieder auf Export beruhende Zuwachs des deutschen Kapitals irgendwo sein Gegenstück findet, weil er andere Ökonomien damit ausblutet, die vielzitierten »win-win-Effekte« (also Handelsaustausch zum beiderseitigen Nutzen) gibt es in dieser Entwicklung nicht.

Die Entwicklung in Europa ist ungleich: Während sich Deutschland in der Krise versucht zu sanieren, fallen dadurch automatisch andere Länder noch stärker zurück, gerade im Hinblick auf die Erwerbslosigkeit. Dazu ist hier diese Grafik eingeführt. Die schwarze Kurve beschreibt die Erwerbslosigkeit in Deutschland, die sich aktuell gegenüber vor der Krise tatsächlich reduziert hat. Was mit den Arbeitsplätzen in Deutschland genau passiert ist, darauf komme ich noch zurück.

Die Erwerbssituation läuft aber in der EU genauso auseinander, wie vorher bei den entsprechenden Tendenzen der Gesamtentwicklung gezeigt. Die Erwerbslosigkeit in EZ 17 (das sind die »Euroländer«) und EU 27 (alle EU-Länder) entwickelt sich genau anders als in Deutschland, die Erwerbslosigkeit steigt mit der Krise deutlich und dauerhaft an! In den anderen EU-Staaten ist also mit der angeblichen Krisenüberwindung überhaupt keine Wirkung auf die Beschäftigung erkennbar.

Die Länder mit den höchsten Erwerbslosigkeitsquoten sind dabei: Ungarn 12%, Slowakei 14%, Griechenland auch 14%, Estland und Irland sogar 15% und zuletzt Spanien mit weiterhin aktuell 20,5% offizieller Erwerbslosigkeit.

Also der deutsche Imperialismus ist weiterhin auf Export orientiert, macht sozusagen sein Geschäft wie vorher, zu Lasten der schwächeren Ökonomien in Europa. Insbesondere – und genau das ist schon vielfach geschrieben worden – der Kapitalexport hängt eng mit dem Anwachsen des Warenexports zusammen.

Zunächst wird Kapital in Form von Krediten exportiert, dann folgt der Warenexport, die Waren aus dem Kreditgeberland Deutschland, die damit gekauft werden sollen. Die ausländischen Monopole reißen so die Absatzmärkte und Rohstoffquellen in den Schuldnerländern an sich, und der Kapitalexport wird eine Grundlage des imperialistischen Unterdrückungssystems. Die ungleiche Entwicklung in der EU ist dafür ein sehr markantes Beispiel unserer Tage.

»Der Kapitalexport hängt eng mit dem Anwachsen des Warenexports zusammen. Die ausländischen Monopole reißen die Absatzmärkte und Rohstoffquellen in den Schuldnerländern an sich. Somit ist der Kapitalexport eine der Grundlagen des imperialistischen Unterdrückungssystems …« (Lehrbuch der Politischen Ökonomie, 1955, S. 265)

Zusammengefasst für die Entwicklung Richtung Ausland heißt das für das deutsche Kapital Folgendes. Es gibt in der EU insgesamt einen Anstieg der Wirtschaftsleistung gegenüber vor einem Jahr von 2%, wovon 2,1% allein auf Deutschland entfallen. Deutschland hat natürlich für die Gesamtzahl die größte Bedeutung, weil es die größte Ökonomie ist. Dann folgen noch Frankreich und Italien, die einen Anteil von 0,3% zu diesem Anstieg beitragen, und der Rest dümpelt sprichwörtlich vor sich hin.

Wesentlich für die Entwicklung der Ökonomie in Deutschland ist wiederum der Export, der Außenhandel. Wie sieht es dabei eigentlich im Inland aus?

Diese Kurve für Deutschland ist deutlich abweichend zur Gesamtentwicklung. Auch hier beginnen wir mit dem Jahr 2000, also in etwa der Einführung des Euro. Die Entwicklung zeigt, dass es teils mehrjährige Rückgänge schon vor der Krise gab (2004-2006), auch in den anderen Jahren bis zur Krise läuft es unspektakulär vor sich hin. Dann 2009 gab es erstmals nach langer Zeit einen relevanten Anstieg von fast 6%, das waren die Dinge wie Konjunkturpaket, also sonstige staatliche und staatlich geförderte Maßnahmen (z.B. Auto-Abwrackprämie).

Aber schon 2010 – im Gegensatz zur eingangs dargestellten Gesamtkurve – ein Minus von 3% im Inlandsanteil des BIP! Der deutsche Imperialismus setzt auf Gedeih und Verderb auf Export, Export und noch mal Export und erlebt dabei zwangsläufig stärkere Schwankungen und Risiken als in früherer Zeit.

Was heißt das jetzt alles für uns, also vor allem für die Beschäftigung? Zunächst nochmals der Hinweis: Auch da haben wir immer das Problem der unzureichenden Statistiken. Die Erwerbslosenstatistik wird gefälscht oder bleibt in Teilen unklar, wird ständig zur Beschönigung modifiziert.

Statt auf die Zahl der Arbeitslosen zu gucken, kann man sich teils besser orientieren an der Entwicklung der Beschäftigten, also der sogenannten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gemäß Daten der Bundesagentur für Arbeit. Das sind alle diejenigen, die einen Job mit Einzahlung in die Sozialversicherung haben, die nicht 400-Euro-Jobs machen oder in irgendwelchen Maßnahmen des Arbeitsamts oder ähnlichen Beschäftigungsdingen stecken. Sozialversicherungspflichtig bedeutet somit nicht unbedingt Vollzeitjob. Dennoch stellt die Entwicklung der Anzahl der Arbeitsplätze die Entwicklung geeigneter dar als andere Fakten.

Es ist in der Tat so, dass es in Deutschland im Februar 2011 gegenüber dem Februar 2010 einen Anstieg von 699.000 sozialversicherungspflichtigen Jobs gegeben hat. Wenn man das dann näher aufgliedert, fällt sehr deutlich ins Auge: Der größte Teil der neuen Beschäftigungsverhältnissen ist Zeitarbeit mit rund 180.000 Menschen. Etwas mehr als ein Viertel der neu Beschäftigten – andere Quellen sagen auch etwa ein Drittel – entfällt auf Leiharbeit. Der Begriff Zeitarbeit ist dabei meines Erachtens eher verharmlosend, ich würde deshalb empfehlen, möglichst durchgängig von Leiharbeit zu sprechen. Noch aussagekräftiger ist übrigens der österreichische Begriff des »Leasingarbeiters«.

Neben der Leiharbeit also kommen Dienstleistungen (was auch immer sich im Detail dahinter verbergen mag), dann Gesundheit und Pflege und erst an vierter Stelle die originär so benannte Produktion mit etwas unter 100.000 neuen Arbeitsplätzen. Ich rufe hier den Anfang des Vortrags in Erinnerung, mit dem entsprechenden Anstieg der Produktionskurve von rund 10% gegenüber dem Vorjahr, dem lediglich 100.000 direkt von den Produktionsunternehmen eingestellte Arbeiter (inkl. Teilzeit und Befristungen) gegenüberstehen! Man sieht, dass nunmehr wieder einerseits mit der bestehenden Belegschaft deutlich mehr produziert wird und andererseits vor allem die Leiharbeiter (weil sie zum großen Teil der Produktion zuzurechnen sind) deutlich ansteigen und die zusätzliche Produktionsmenge herstellen.

Die Leiharbeit steigt deutlich an, und an den Bedingungen hat sich bis jetzt nichts geändert. Die Frage bleibt also, was gewerkschaftlich am Ende eigentlich daraus folgen sollte, wo man sieht, dass die Produktion steigt und die Kapazität teilweise ausgeschöpft ist.

Jetzt wäre – wie zuletzt 2007 – wieder die Situation, wo es von den Kampfbedingungen her etwas leichter wäre, gegen die Leiharbeit und die mit ihr verbundenen Spaltungen vorzugehen. Jetzt hat das deutsche Kapital den Druck, dass die eingehenden Aufträge abgearbeitet werden müssen. In der Expansionsphase ist es grundsätzlich immer leichter zu kämpfen, als in der Krise.

Die Entwicklung der Leiharbeit über einen längeren Zeitraum habe ich auch herausgesucht. Die ältesten Daten beginnen 1994. Damals gab es insgesamt 100.000 Leiharbeiter – und heute (die Zahlen gehen etwas auseinander) sind das aktuell traurige Rekordwerte von 900.000 bis zu 1.000.000 Arbeitskräften.

Der genaue Wert ist nebensächlich, entscheidend ist die ganz klar drastische Tendenz der Verzehnfachung in nicht einmal zwanzig Jahren! Im Detail der letzten Jahre ergibt sich seit 2006 – mit Schwankungen über die Auf- und Abschwünge der Produktion – eine ungefähre Verdopplung der Anzahl der Leiharbeiter.

Dieser Anstieg der Leiharbeit ist im Hinblick auf die Gesamtentwicklung der Beschäftigung meines Erachtens der wichtigste Punkt. Genau vor dem Hintergrund sind auch die Veröffentlichungen zum angeblichen Fachkräftemangel und der ganze Quatsch zu sehen. Es ist an diesen Zahlen überhaupt nicht erkennbar, wo das genau stattfinden soll. Das sind Dinge, die aus meiner Sicht nur sozusagen zur guten Stimmungsmache veröffentlicht werden.

In der Realität ist es aktuell so, dass Einstellungen in der Produktion zu 80% auf Leiharbeit entfallen, auf vier neue Leiharbeiter kommt ein neu direkt angestellter Produktionsarbeiter. Die Leiharbeit ist Instrument zur Lohndrückerei und vor allem auch das Mittel, um je nach Auftragslage schnell und kostenlos Arbeiter anzuheuern oder rauszuschmeißen!

Hier eine weitere Darstellung der Leiharbeit, nämlich der Anteil der Leiharbeiter an den insgesamt Beschäftigten seit 1994. Die Tendenz ist ähnlich wie in der vorherigen Darstellung.

1994 waren 0,3% aller Beschäftigten Leiharbeiter. Bei diesen 0,3% gab es in der Tat einen Teil, von denen auch heute seitens der Leiharbeitsverfechter so gerne geredet wird: Bestimmte Spezialisten, die ähnlich wie die Montagearbeiter eingesetzt waren, oder IT-Spezialisten, die wirklich nur projektmäßig für einen Zeitraum von vielleicht drei Monaten gebraucht wurden. Hochqualifizierte Leute mit hohem Lohn, wo man den Einsatz als Leiharbeit vielleicht auch noch nachvollziehen kann, wo das für uns jedenfalls kein großes Thema gewesen wäre. Die waren da noch dabei, und zu einem ganz kleinen Teil gibt es diese immer noch.

Der überragende Teil jedoch sind umgewandelte, vorher ganz normale, sogenannte reguläre Arbeitsplätze. Diese werden abgesenkt und auf schlechteste Bedingungen gedrückt. So haben wir dann – die Zeitarbeit gehört zu diesen sozialversicherungspflichtigen Jobs – mittlerweile einen Anteil von rund 3% aller Beschäftigten, die in einem Zeitarbeitsverhältnis beschäftigt werden. Hinzuzurechnen sind noch die ebenfalls deutlich angestiegenen befristeten oder sonst wie heruntergestuften Arbeitsplätze, die ich gar nicht genau erfasst habe. Nimmt man das alles zusammen, so ist ein erheblicher Teil – gerade der Arbeitskräfte unter 30 Jahren – in irgendwie ungünstigem oder unsicherem Status angestellt.

Im Weiteren möchte ich etwas darstellen zur unterschiedlichen Entwicklung der Beschäftigung mit Sozialversicherung nach Ost und West. Hier beginnt die Darstellung 1992. Zu diesem Zeitpunkt hatten über eine Million Menschen der ehemaligen DDR bereits ihre Arbeit verloren. Exakte Daten ab 1990 sind jedoch – wohl aus diesem Grunde – nicht zu bekommen.

So kann ich nur die Entwicklung der letzten knapp zwanzig Jahre darstellen, die aber auch eine deutliche Sprache spricht. Der Startpunkt 1992 ist dabei jeweils gleich 100% gesetzt. Für den Westen (also die alte BRD) geht die Entwicklung runter, dann um die Jahrtausendwende wieder rauf und so weiter. Heute ist in Westdeutschland die Beschäftigung mit Sozialversicherungsstatus ganz leicht höher als 1992. Da ist die Zeitarbeit, die befristeten und alle weiteren Beschäftigungsverhältnisse natürlich mit drin. Das Kriterium ist wie gesagt nur, dass jemand sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist.

Ganz anders die Entwicklung im Osten, also der ehemaligen DDR, wo es nach 1992 einen historisch mit Sicherheit sehr seltenen Absturz gibt. Nicht nur nach der Auflösung der früheren DDR-Ökonomie 1990/1991, sondern weiterhin kontinuierlich ging die Erwerbstätigkeit abwärts bis auf annähernd 70% des Werts von 1992 im Jahr 2006. Seitdem gibt es jetzt hier einen minimalen Anstieg.

Das heißt, wenn man das vergleicht, haben wir im Westen etwa 0% Entwicklung und im Osten weiterhin minus 22% oder rund 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtiger Jobs, die nicht mehr existieren. Wenn man nun noch die Leiharbeit und die Befristeten usw. mit in die Betrachtung nimmt, kommt man dann schon leicht Richtung 60%, was überhaupt noch unbefristet und sozialversicherungspflichtig ist und nicht Leiharbeit. Also insbesondere im Osten sind in den letzten zwanzig Jahren massive Veränderungen erkennbar. Würde man die bereits erwähnten Beschäftigten in der ehemaligen DDR hinzunehmen, die 1990 oder 1991 bereits ihren Job verloren haben, so wäre die Beschäftigung von vornherein nur etwa 60% des Niveaus der DDR!

Das Ganze ergibt dann eine Mix-Kurve in der Gesamtentwicklung des vergrößerten Deutschland. Da liegt der Wert jetzt ungefähr bei 95% des Werts von 1992. Rund 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs sind allein in den vergangenen zwanzig Jahren vernichtet worden, dies ist in der ehemaligen DDR geschehen. Daneben muss man natürlich auch festhalten, dass diese jetzt in geringerer Anzahl Beschäftigten eine deutlich höhere Produktivität haben, also erheblich mehr Gesamtmenge produzieren, verwalten und verteilen/exportieren.

Da seit 1990 außerdem Millionen von gerade jungen Leuten aus dem Osten in den Westen gegangen sind, wäre der Westen jetzt ohne die Einverleibung der DDR schon lange an einem Punkt, wo in der Tat ein Arbeitskräfteproblem akut wäre. Ich würde davon ausgehen, dass das, was im Moment vom Fachkräftemangel gesagt wird, relativ viel heiße Luft ist.

Ich würde schätzen, das sind vielleicht zwei Millionen Arbeitskräfte, die schulisch oder beruflich im Osten ausgebildet worden sind und dann in den Westen gegangen sind oder eben pendeln. Wenn die nicht als Arbeitskräfte zur Verfügung stünden, so wie vor 1989, dann wäre in der Tat wahrscheinlich ein Punkt erreicht, wo vom Ergebnis her das ganze Ausbildungswesen in Westdeutschland massive Probleme für das Kapital bedeuten würde. Also das wovon sie immer reden: In zehn Jahren haben wir wieder so und so viele ältere Arbeitskräfte, und wir kriegen dann wieder Probleme, gute Leute zu finden usw.; das wäre wirklich Realität ohne die DDR. Die Sicht ist natürlich trotzdem Unfug, weil man einfach ganz viele Menschen hat, die nie eine berufliche Ausbildung bekommen haben und die einfach gar nicht mehr im Blick des Kapitals sind.

Letztlich heißt das, dass der deutsche Imperialismus sich noch einmal – ein zunächst letztes Mal – auf Basis der Ausbildung in der DDR billige, qualifizierte Arbeitskräfte holen konnte. In den 90er Jahren sind mehr Menschen aus Ost nach West gegangen als in der Zeit von der Gründung der DDR bis zum Mauerbau. Das ist mit allen bürgerlichen Statistiken entsprechend bewiesen.

Dazu kommt noch – bezogen auf das Gebiet der ehemaligen DDR – die flächendeckend deutlich schlechtere Bezahlung, schlechteren Arbeitsbedingungen, die zum Teil durch Tarifverträge sogar ganz offiziell gemacht werden oder dann durch die Praxis sowieso noch verstärkt werden. Da gibt es eine schlechtere Auslegung von Tarifverträgen, also Leute werden einfach niedriger eingruppiert, mehr unbezahlte Überstunden gemacht usw.

Wir haben also eine flächendeckend schlechtere Bezahlung in der ehemaligen DDR, und deshalb betone ich: Falls noch jemand ein Argument braucht gegen die Parole »Lohnverzicht schafft Arbeitsplätze«, da braucht man einfach nur diese Kurve der Entwicklung der Erwerbstätigen im Osten zu nehmen.

Die inländische Situation wäre somit wie folgt zusammenzufassen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt auf Basis des Exports, auf Basis der erhöhten Produktionsmenge, die in das Ausland verkauft wird. Die Beschäftigung steigt dabei auch, wobei ein erdrückend großer Teil des Anstiegs als Leiharbeit erfolgt.

Der Träger der Entwicklung ist also wieder der Export, der Inlandskonsum hingegen ist weiterhin rückläufig oder stagniert. Erneut wird wieder überwiegend in die EU bzw. die Eurozone exportiert, und der deutsche Imperialismus ist im Vergleich zu den anderen EU-Staaten Krisengewinner, momentan sieht es zumindest so aus. Die Entwicklung des deutschen Imperialismus ist wieder einmal sehr ungleich im Vergleich zur restlichen EU. Die Beschäftigung fällt in Ost und West weiterhin extrem auseinander.

Gehen wir nun weiter zum Ausland, bzw. in den Bereich der Eurokrise. Wir hatten auf der letzten Konferenz vor einem Jahr genau dieses Thema zentral in der Darstellung der ökonomischen Lage behandelt. Der Zeitpunkt war unmittelbar vor oder in Verbindung mit der Vergabe der ersten Notkredite, insbesondere für Griechenland.

Heute haben wir praktisch wieder genau die gleiche Ausgangslage, die Situation hat sich aber verschärft. Das heißt, vor allem Griechenland, aber auch andere Länder wie Irland und Portugal haben entsprechende Mittel bekommen. Dabei möchte ich nicht im Detail auf die einzelnen Summen und Beträge eingehen, die im Raum stehen. Das halte ich nicht für so interessant. Ich möchte stattdessen noch einmal versuchen, das System bzw. die Grundlagen dieses ganzen Verschuldungssystems darzustellen.

Vor einem Jahr war Griechenland quasi zahlungsunfähig und ist durch neue Kredite vor der Staatspleite »gerettet« worden. Diese Kredite waren natürlich verbunden mit harten Bedingungen. Diese Bedingungen haben sich entsprechend politisch ausgewirkt, sprich Kürzung von Sozialausgaben, verschärfte Privatisierungen und so weiter.

Das alles hat aber nicht dazu geführt, dass die Situation wieder zur Zahlungsfähigkeit Griechenlands führte, einen wirtschaftlichen Aufschwung auf Kosten des Volks bewirkt hätte. Es ist nichts von dem gelungen, was die Zielsetzung der Kreditgeber war.

Das behauptete Ziel der neuen Kredite war, dass Griechenland 2012 und 2013 wieder eigenständig Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen kann. Das ist aber völlig unrealistisch und ausgeschlossen, weil auch nächstes Jahr niemand der privaten Banken oder Versicherungen mit eigenem Risiko Griechenland wieder Geld leihen würde. Deshalb springen die europäischen Staaten vermittels der EZB (Europäische Zentralbank) wieder ein, was eine Gesamthaftung für Griechenland bewirkt, aber natürlich nicht direkt diejenigen betrifft, welche vorher an den Krediten verdient haben.

Wie hat das eigentlich alles erstmal funktioniert? Ursprünglich erhielt Griechenland (und andere) Kredit. Die Kredite dienten praktisch zur Bedienung des schon dargestellten Exportüberschusses, insbesondere aus Deutschland, der sich z.B. in Griechenland als Importüberhang darstellt. Denn es ist klar, wenn Deutschland so viel in Europa exportiert, dann müssen diese exportierten Waren auch irgendwie bezahlt werden.

Da die griechische Ökonomie kaum etwas im Austausch für insbesondere den deutschen Export anzubieten hat, wurde es eben so geregelt, dass man mit der Ware auch gleich noch den Kredit mitliefert, und so kann Griechenland die Waren zunächst überhaupt einmal bezahlen. Das Problem des ungleichen Austausches – Deutschland exportiert viel mehr, als es importiert, Griechenland importiert »zu viel« – ist dabei keineswegs gelöst, sondern praktisch nur verschoben bis zur Kreditrückzahlung.

Der ständige Exportüberschuss stellt sich im deutschen (Gesamt-)kapital letztlich als Kapitalüberschuss dar. Es war eine längere Zeit sehr geeignet, dieses Kapital unter anderem als Kredit in Europa (u.a. teils auch außerhalb Europas) gegen Zinsen zu verleihen. Das Problem ist: Am Ende muss der Kredit auch noch bezahlt werden. Nun zeigt sich, dass nach der langen Zeit des Ungleichgewichts das ganze System der starken deutschen Exportwirtschaft innerhalb der Eurozone unter dem Strich nicht funktioniert.

Es führt nur zu einer nicht mehr rückzahlbaren Verschuldung der schwachen Länder innerhalb des Systems, zu einem quasi automatischen Verschuldungssystem. Was zum Beispiel geliefert wird, sind Anlagen, Maschinen und sogenannte moderne Technologien wie Solartechnik (in Griechenland gibt es ja so viel Sonne, da können die Griechen auch gleich noch ein bisschen das Klima schützen) und natürlich nicht zuletzt: Waffen.

Da nun in Griechenland alle gegen den Widerstand der Arbeiterklasse und des ganzen Volks bereits ergriffenen Maßnahmen (Lohnkürzung, Erhöhung der Arbeitslosigkeit usw.) nicht ausreichen, wird Griechenland offen erpresst, dass zur Gabe neuer Kredite oder der Verlängerung der Bestehenden die verbliebenen Vermögenswerte hergegeben werden müssen. Damit ist alles an öffentlichem Eigentum gemeint, das man sich vorstellen kann und das noch existiert.

Im Klartext heißt das Privatisierung sämtlicher Infrastruktur: Telekommunikation, Wasser, Stromnetz, Häfen, möglicher Immobilienbesitz des griechischen Staats, Goldreserven usw. Das steht als Forderung ganz klar im Raum und zielt auf eine komplette Enteignung ab. Jean-Claude Juncker z.B. schlägt die Gründung einer regierungsunabhängigen Privatisierungsagentur vor, nach Vorbild der Treuhand.

So äußerte sich auch der Chefvolkswirt der EZB, Wolfgang Stark: »Man sollte hier ehrgeiziger sein … Dafür kann man sich die Erfahrungen anderer Staaten zu eigen machen, einschließlich der Treuhandanstalt in Deutschland«. Der Bezug zur Treuhand ist dabei die neue Qualität. Wir haben vorhin gesehen, was für die Arbeiter aus der DDR mittels der Treuhand geworden ist: Griechenland soll nun eine Art Halbkolonie mit wörtlichem Bezug zur Entwicklung der DDR (Treuhand) werden.

Dabei wird auch über Umschuldungen für Griechenland geredet. Manche schlagen vor, die Kredite auf bis zu fünfzig Jahre zu verlängern, was natürlich optisch eine gewisse Entlastung bringen würde – das käme einer Umschuldung gleich. Es gibt Vorschläge, alte Anleihen gegen neue zu tauschen, und bei den neuen hätten die privaten Gläubiger auf ein paar Prozent zu verzichten und so weiter.

Aber egal, was da genau am Ende gemacht wird: Man wird nur etwas umsetzen, wenn man sich im Gegenzug alles holt, was noch zu holen ist. Denn es ist völlig klar, dass diese Kredite nie komplett zurückgezahlt werden können, das steht fest.

Jetzt ist in jedem Fall die Politik völlig anders als 2008. Damals überwogen überall die mehr oder weniger großen Konjunkturpakete, man trug vor sich her, nicht den Fehler von 1929 und danach zu wiederholen, durch drastische Sparmaßnahmen die Wirtschaft zusätzlich »abzuwürgen«. Doch nun bleibt gar nichts anderes, nun kommt man in die gleiche Situation des Ab- und Erwürgens der nationalen Ökonomien durch drastische Sparmaßnahmen.

Was die konkreten offenen Kredite an Griechenland betrifft, kann man sagen: Es gibt da Banken und andere Akteure, die handeln mit diesen Krediten in der Erwartung, dass am Ende mehr gezahlt wird, als wiederum andere meinen. Nur mit unterschiedlichen Erwartungen auf zwei Seiten kann bekanntlich ein Handel zustandekommen.

Das alles führt dann zum Beispiel dazu, dass die Zinsen für zweijährige Kredite an Griechenland momentan bei 25% liegen. Das heißt nichts anderes, als dass in zwei Jahren Kredite voll zurückgezahlt werden sollen. Wenn das gelingen sollte, wäre der jährliche Zins rückwirkend 25%. Die überwiegende Erwartung ist anders, man kann diese Kredite momentan zu 50% ihrer ursprünglichen Summe aufkaufen. Das bedeutet, die Mehrheit geht momentan davon aus, dass Griechenland vielleicht 50% bezahlt, bzw. ein entsprechender Schuldenschnitt erfolgt, also in einem wie auch immer laufenden Verfahren die Hälfte für wertlos erklärt wird.

Man muss es so sehen, dass die Mehrheit der Akteure davon ausgeht, dass nach heutigem Stand die Hälfte des Geldes schon weg ist, so haben auch viele (aber nicht alle) Banken und Versicherungen das in ihren Bilanzen bereits berücksichtigt. Niemand geht momentan ernsthaft davon aus, dass alles zurückgezahlt wird. Die Frage ist nur, wann und wie die Kapitalvernichtung offiziell wird und wie der Preis aussieht. Das Geld ist eigentlich schon weg.

Auf Basis dieser Situation entbrennt der Streit um die verbliebene Beute und die Position als vorherrschende Macht im abhängigen Griechenland.

Und dazu wird jetzt erst einmal alles, was noch da ist, gefordert, bis hin zu irgendwelchen Inseln. Da wird es dann spätestens brandgefährlich, denn der einzig denkbare Gerichtsvollzieher für fremdes Territorium ist nun einmal das jeweilige Militär, also für Deutschland die Bundeswehr.

Ich weiß nicht, wie ihr es erlebt. Aber ich finde es unheimlich schwierig, mit Kollegen darüber in ein vernünftiges Gespräch zu kommen, diese chauvinistische Sicht greift dort unheimlich stark. »Da haben die nun da unten das ganze Geld ausgegeben«, und jeder war da auch schon einmal im Urlaub und hat einen angeblich faulen Griechen gesehen, und »wenn ich dann nichts mehr hab, dann muss ich die Inseln halt hergeben. Wenn ich verschuldet bin, fliege ich auch aus meinem Häuschen.«

Ich erwidere dann, die Forderung nach Inseln ist der letzte Schritt, der vor dem Krieg noch denkbar ist. Dann erzielt man manchmal ein bisschen Nachdenken. Der naheliegendste Gedanke aber, dass es zumindest ein Vorbild ist, wenn die griechischen Kollegen sich wehren und auf die Straße gehen, Generalstreik machen, der kommt nie von allein.

Dabei gibt es mittlerweile auch wieder eine gewisse Gegenentwicklung, gerade auch durch die vielfachen Proteste, die in fast allen Ländern Europas (außer Deutschland) stattfinden. Da gibt es dann plötzlich eine Fraktion, die sagt, ja, ihr müsst jetzt schon wieder ein bisschen zurück, die Mehrwertsteuer um 3% senken, um etwas Dampf aus dem Kesseln zu nehmen.

Dann aber folgt der Hinweis des Ministerpräsidenten auf die gewesene Militärdiktatur, die letztlich schon sehr offene Drohung nach Abschaffung der Demokratie. So ist das bei uns noch nicht, aber die Kanzlerin erwähnt immer wieder sinngemäß das alte Kohl-Wort, nach dem die europäische Einigung eine Frage von Krieg und Frieden sei.

Andere Strategen und »Querdenker« sinnieren über die mangelnde Effektivität der Demokratie, wie schwerfällig in dem System doch alles in Deutschland sei, und ob es nicht letztlich für alle einfacher wäre, andere Entscheidungswege festzulegen …

Ein historisches Zitat von Gregor Gysi aus dem Bundestag im April 1998 möchte ich noch anführen. Ob er es heute noch so sieht, weiß ich nicht. Damals jedenfalls sagte er:

»Alle würdigen am Euro, dass sich die Exportchancen Deutschlands erhöhen würden. Wenn das dann so ist, dann müssten andere Produktionsunternehmen anderer Länder darunter leiden, anders ginge es doch gar nicht. Das heißt, wir wollen den Export Deutschlands erhöhen und damit die Industrie in Portugal, Spanien und anderen Ländern schwächen. Sie werden verostdeutscht, weil sie diesem Export nicht standhalten können.«

Das ist eine genaue Beschreibung für das, was wir jetzt systematisch hier erleben. Ich würde das Ganze bezeichnen als eine Kolonialisierung Griechenlands, und so hört es sich beim Vorsitzenden der Eurogruppe, Juncker, auch an: »Die EU wird das zukünftige Privatisierungsprogramm so eng begleiten, als würden es wir selbst durchführen.«

Es ist von Anfang an so, dass dieser Euro-Rettungsfonds (also der erste große Kredit), der verwaltet worden ist, auch in Richtung Irland, Portugal usw., durch die Bundesfinanzagentur verwaltet wird. Also nicht durch irgendeine europäische Einrichtung oder die Europäische Zentralbank, sondern durch eine originär deutsche Institution, eben die Bundesfinanzagentur, die sonst hauptsächlich die deutschen Banken und Versicherungen kontrollieren soll.

Daneben gibt es noch den IWF, der zu betrachten wäre. Jetzt muss ich ein bisschen aufpassen, dass ich mich nicht der Verharmlosung einer möglichen Vergewaltigung schuldig mache. Aber skurril war es aus meiner Sicht schon, was da bei der Absetzung des IWF-Chefs passiert ist.

Der IWF hat in den letzten Jahren zunächst ein Drittel der zusätzlichen Griechenlandkredite gegeben. Neben den EU-Geldern hat sich der IWF auch entsprechend stark engagiert. Strauss-Kahn, der ehemalige IWF-Chef, war auf jeden Fall immer Befürworter auch weiterer Kredite. So bezeichnet ihn die Financial Times als Freund Griechenlands.

Wir haben den ganzen Ablauf ja erlebt. Ich dachte, der IWF-Chef hätte diplomatische Immunität, aber in den USA hat er die zumindest nicht: Am Sonntag wurde er verhaftet. Am Montag darf er nicht mal gegen Kaution raus. Nachdem er dann am Mittwoch zurückgetreten ist, wurde er am Donnerstag rausgelassen in den Hausarrest, den er jetzt bezahlen muss.

Es kann natürlich auch so gewesen sein, wie es das amerikanische Gericht sieht. Aber es wäre wirklich schon ein sehr großer Zufall: Er wird verhaftet, dann warten wir bis zum Rücktritt, und dann darf er wieder nach Hause. Ich kann es mir schwer vorstellen.

Jedenfalls ist der Aspekt, dass der IWF in der ganzen Konstruktion, in der griechischen Situation da im Moment ziemlich unklar ist. Eine Woche später hat Juncker gesagt, die Auszahlung der nächsten IWF-Rate sei gefährdet oder eigentlich ausgeschlossen. Denn man könne nur auszahlen, wenn sicher sei, dass das nächste Jahr finanziell gedeckt wäre, und das wäre nicht der Fall.

Es geht nun täglich hin und her, die ganze Auseinandersetzung ist extrem zugespitzt. Jeder versucht sich die entsprechende Position zu sichern, um da zumindest noch den Nutzen ziehen zu können, der noch möglich ist, weswegen man auch nicht vorhersagen kann, was genau passieren wird.

Dabei geht es vor allem darum, sich über Privatisierung und Ausverkauf noch möglichst viel für die Zeit danach unter den Nagel zu reißen. Die Verschuldung ist in den betroffenen Staaten (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien) höher als vor zwölf Monaten. Am Anfang wurden sie aufgrund der Anfangsbuchstaben »PIGS-Staaten« genannt. Das fand man irgendwann doch ein bisschen peinlich, nun heißen sie »GIPS-Staaten«.

Die Wirtschaft insgesamt ist durch das übertriebene Sparen abgewürgt und zerschlagen. Es gibt mittlerweile auch die Entwicklung, dass die nationale Bourgeoisie und auch die Kleinbourgeoisie versucht, Kapital und Spargelder außer Landes zu bringen, was die ganze Situation noch mal verschärft. Das führt zum Beispiel im Moment zu einer extremen Aufwertung des Schweizer Franken gegenüber dem Euro. Das ist ein Ergebnis, dass Kapital sozusagen in die Schweiz fließt, woher auch immer es »flüchtet«.

Es geht um Privatisierung und Ausverkauf in den verschuldeten Staaten. Meine Prognose wäre – das kann natürlich auch anders kommen – , dass man sich jetzt zunächst einmal die Vermögenswerte, die noch da sind, einverleibt und die Staaten dann aus dem Euroraum fliegen. Bis dahin werden sie noch notdürftig mit neuen Mitteln versorgt.

Also steht wie immer die Analyse – Lenin hat es schon 1915 so formuliert: »Die Vereinigten Staaten von Europa sind unter kapitalistischen Bedingungen entweder unmöglich oder reaktionär«. Heute könnte man die Frage ergänzen für die Diskussion: Ist es nicht vielmehr so, dass sie sowieso unmöglich sind, wie ich versucht habe darzulegen, dass sie aber zugleich unmöglich und reaktionär sind? Das wäre der Beitrag von meiner Seite. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion.